Darf eine Mutter die Augen verschließen vor dem Leid der Welt?
Meine Antwort: Ja, sie darf ohne schlechtes Gewissen die Welt mit ihren Nöten und Schrecken auch mal unbeobachtet lassen.
Eine Sensibilität für Ungerechtigkeit und ein gutes Maß an Empathie wurde mir glaube ich schon in die Wiege gelegt. Aber mit dem Mama-Werden ist dieses Maß enorm gestiegen und weitere Antennen für schreiende oder schweigende Ungerechtigkeiten kamen hinzu. Der Schutzwall um Herz und Seele scheint nur noch aus dünnem Glas zu bestehen. Schreckensnachrichten aus dem Fernsehen/Internet etc. erschüttern mich seither oft bis tief ins Mark und lassen mich teilweise fast alltagsuntauglich zurück.
Das funktioniert so nicht, hab ich mir gedacht. Nachrichten über Tod und Terror verängstigen mich lediglich. Ich schaffe es gerade nicht mich weiter damit auseinandersetzen oder mich für irgendetwas zu engagieren.
Also entschied ich schon während der Schwangerschaft meines Sohnes: Augen und Ohren zu! Ja ich will nix hören und ja ich verdräng das jetzt. Nein ich hab kein schlechtes Gewissen. Ich brauch jetzt alle meine Kräfte für mein tatsächliches Leben und Überleben mit drei kleinen Kindern. Darum schütze ich meine Mutterseele.
Ein Jahr Schonfrist hab ich mir gegeben.
Das ist jetzt vorbei.
Heute stelle ich mich zum ersten Mal wieder ganz bewusst dem Schmerz dieser Welt.
Jetzt möchte ich wieder mehr hinsehen. Mehr tun. Auch die Hormone erlauben es nun bereitwilliger als vor einem Jahr.
Seit 2011 bin ich tätig als Botschafterin für IJM (International Justice Mission) eine christliche Menschenrechtsorganisation, die den Ärmsten der Armen zum Recht verhilft. Mutige Leute, mit Herz und Gottvertrauen, die u.a. missbrauchte wehrlose Kinder aus den Bordellen holen, in Indien, Philippinen… sich um die zarten, traumatisierten Seelen kümmern, die dem Landesrecht zur Geltung verhelfen und die Täter zur Verurteilung führen. Ich bin sehr dankbar für die Arbeit von IJM an der Front des Bösen. Ich darf ihre Arbeit mittragen. Einfach durch meine Worte und meine Finanzen.
Heute habe ich meinen ersten Botschaftervortrag nach der Babypause vorbereiten. Ein Klick auf das erste aktuelle Video über die Geschichte von Jamie in Ruanda brach sofort alle Dämme in mir. Heulend saß ich vor dem Bildschirm. Mit einem tiefen Stechen im Herz und mit Wut, die sich wehrt, begann ich mit Gott zu ringen. GOTT! Wie hälst du das aus? Du siehst jeden und du liebst wie kein anderer, wie kannst du dir das ansehen? Diese Welt badet in Scheiße und das schon so lange. Die Gut-Menschen werden niemals Herr werden über das Böse. Wo bist du gewesen als Jamie verstoßen wurde? Vergewaltigt wurde? Fast verbrannt wäre? Ihre Beine amputiert wurden? WO? Ein leises Flüstern: Ich war da. – NEIN! Das will ich nicht hören. Du sollst nicht da sein sondern eingreifen. Ich schüttel wild den Kopf und fühle mich als würde ich mit jemand reden, der schwer von Begriff zu sein scheint. Dann lenkte Gott meinen Blick auf die Perspektive Ewigkeit, wenn alle Schmerzen vorbei sein werden, Gerechtigkeit in Vollendung tritt und das Böse endgültig entmachtet wird. Aber auch das fiel mir schwer zu sehen, denn dieses verdammte Leid ist einfach so real. Es tut so weh!
Und wie so oft trocknen meine Tränen, kopfschüttelnd und etwas missmutig lege ich die schweren unbeantworteten Fragen beiseite und murmel ein: Ok, ich will dir vertrauen und mit deiner Hilfe meinen kleinen Beitrag für Gerechtigkeit leisten. Was bleibt mir anderes übrig. Aus Frust Gott den Rücken kehren? Dann nehm ich mir die Luft zum atmen. Ich verstehe vieles nicht, aber ich will mich mit einem „dennoch“ an ihn hängen und mich auch von großem Schmerz nicht abschütteln lassen. Denn eins weiß ich sicher: Er liebt diese Welt. Und wie zur Bestätigung spüre ich einen Strom der Liebe in meinem Herzen. Gott flutet mein Herz einmal mehr mit seiner Vaterliebe und die fühlt sich ähnlich an wie die Liebe zu meinen Kindern. Mutterliebe. In dieser Liebe kann ich auch in die Dunkelheit der Welt gehen. Seine Liebe in mir treibt die Angst aus. Seine Liebe in mir überwindet. Ihr spüre wie eine schwere Last von meinen Schultern genommen wird.
Fröhliches Gequake aus dem Schlafzimmer. Mein kleiner unbeschwerter Sohn ist aufgewacht und holt meine Konzentration ins Hier und Jetzt zurück. Wir setzten uns an den Tisch, essen Banane und überlegen was wir kochen bevor wir die Mädchen vom Kindergarten abholen.
Ich danke für mein Leben.
Ich danke für meine Familie.
Ich bete um Schutz.
Ich bete um Liebe.
Und um Mut.
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