Liebe Muddis. Mein Text fällt heute etwas unbequem aus. Aber brandaktuell, nicht auszulassen und hoffentlich inspirierend.
Krieg. Flucht. Hoffnung Europa? Deutschland? Frieden. Sicherheit. Deutschland, wie viele Menschen kannst du aufnehmen? Wie vielen kannst du aushelfen? Politisch ein heißes Thema. Viele Stimmen. Ängste. Engagement. Vorurteile. Begegnungen. Blinder Hass. Neugier. Mitgefühl. Ignoranz. Diskussion.
Die Zahl der Flüchtlinge nimmt zu. Die Berichterstattung fokussiert sich. Das Mittelmeer schluckt still die verzweifelten Seelen und trägt sie, so hoffe ich, in eine heilende Welt. Am Münchner Hauptbahnhof begrüßen unzählige Ehrenamtliche tausende Flüchtlinge, die über Ungarn mit dem Zug anreisen. Hier hebt die Not sogar unsere deutsche Bürokratie aus den Angeln.
Ein Bekannter von mir, ehemaliger Soldat, bezeichnet die anhaltende Situation als Kriegszustand. Es fliehen und sterben so viele Menschen. Unsere Politik? Überfordert? Ideenlos? Ignorant? Ganz ehrlich, ich möchte nicht in der Haut politischer Entscheidungsträger stecken. Oder vielleicht doch?
Ich bin betroffen. Es geht mich etwas an.
Folgende Erkenntnis traf mich wie ein derber Faustschlag: Brechen wir die gesellschaftlichen und politischen Diskussionen runter auf unsern bürgerlichen Alltag, sind die Parallelen zur NS-Zeit schwindelerregend. Minderheiten werden dem Tod zugeführt bzw. überlassen und das Volk schaut weg, schweigt, hat Angst vor dem Fremden, will den Wohlstand nicht teilen, usw.
Niemals wäre ich ein passiver Mitträger des NS-Regimes gewesen! Niemals! So denke ich immer wieder, und frage mich ob mein Mut zu einer Sophie Scholl gereicht hätte. Wohl kaum.
Ich, der mich als Normalbürger weder pro noch contra engagiere, komme nun in meinem Alltag zunehmend mit der Flüchtlingsthematik in Berührung. Ich verspüre innerlich eine schmerzende Zuneigung zu diesen Menschen, aber weil ich mein geordnetes und bequemes Leben behalten möchte, vertiefe ich mich nicht allzu sehr in diese Elendsthematik und schiebe es an den äußeren Dunstkreis meiner persönlichen Betroffenheit. Zudem gaukel ich mir vor, das hätte alles nichts mit meinem Leben als Muddi zu tun.
Doch Gott ist gut. Er überlässt mich nicht meinem ignoranten ängstlichen Egoismus. Die Herausforderung mich selbst zu geben und abzugeben von meinem Wohl und Stand wird direkt vor der Haustür abgestellt. Flüchtlingsunterkünfte. Begegnungen mit Menschen die nach dem Weg und nach Worten suchen.
Mit zunehmender Berührung steigt der Druck auf mein emotionales Gewissen.
Ich muss viele kleine Entscheidungen treffen, um mein Herz abzuwenden oder den Kämpfergeist in mir aufstehen zu lassen. Der kleine Kämpfergeist, der müde geworden ist von der eigenen Bequemlichkeit und der selbstverliebten Intoleranz. Und plötzlich bricht es durch. Eine schmerzhafte Offenbarung vollzieht sich vor meinem geöffneten Herzen über die wahre Dimension des Elends, das ich bislang vorzog zu verschleiern.
Eine eigentlich selbstverständliche Menschlichkeit verbindet unerwartet mein Leben mit dem Ihren. Empathie drängelt sich vor, Phantasien wie ich auf der Flucht bin mit meiner Familie, entheimatet, beraubt, missbraucht, mittellos, ängstlich, verfolgt. Klamm wird mir ums Herz und ein Kloß sitz mir im Hals. Tränen voller Mitgefühl, Schrecken und tiefer Betroffenheit rollen mir übers Gesicht.
Und der kleine Kämpfergeist? Er wird von dem Ausmaß des Kampfes in die Knie gedrückt. Wieder eine Entscheidung. Rückzug in den innersten Kreis oder Vormarsch? Stelle ich mich dem Mit-Schmerz dieser Menschen und nutze ich meine Position als machtvoller Außenstehender, um mich an positiver Veränderung zu beteiligen oder gar zu initiieren? Der kleine Kämpfergeist wirkt verängstigt und doch verbissen, nicht klein beigeben zu wollen.
Und da tut er das Beste, was er in solch prekärer innerer Entscheidungslage tun kann. Er sucht sich einen Mitstreiter! „Zwei sind besser als einer allein.“ (Bibel) und plötzlich rasen die vielen Weisheiten ermutigend durch meinen Kopf.“Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern.“ (afrikan. Sprichwort). „Was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen.“ (Xavier Naidoo). Ich begreife, solch politische/gesellschaftliche Situationen hat es seit jeher gegeben. Und seit jeher ist der Mensch in seiner Menschlichkeit gefragt.
Und nun stehe auch ich vor der Frage: Gehöre ich zu den stillen Misere-Mitträgern, zu den vermeintlich gewichtigen Gerechtigkeits- Rhetorikern oder zu denen, die tatsächlich in ihrem Alltag etwas ändern, um etwas zu ändern?
Ich werde etwas ändern.
Und wenn ich für einen Menschen den Unterschied machen darf.
Ich spüre wie Gott mich nicht nur herausfordert mich selbst zu geben und zu teilen, was ich mein nenne, sondern dass er darin einen echten Schatz, eine ehrenvolle und erfüllende Aufgabe verborgen hat:
Matthäus 25, 35-40 (Die Bibel, Übersetzung Roland Werner, Das Buch)
„Als ich von Hunger verzehrt wurde, habt ihr mir zu essen gegeben.
Als ich fast verdurstete, habt ihr mir zu trinken gegeben.
Als ich ein heimatloser Ausländer war, habt ich mich aufgenommen.
Also ich ohne Kleidung und Schutz war, habt ihr mich mit dem versorgt, was ich benötigte.
(…) Da wird der König ihnen antworten: Ich versichere euch: Diese Menschen in Not gehören zu meiner Familie. Alles was ihr an Gutem für sie getan habt, das habt ihr damit auch für mich getan!“
Wohin es führen wird, weiß ich nicht. Auch ich trage Sorge und verstehe Diskussionen, doch was meinen Alltag betrifft, so weiß ich nun und will es leben:
Refugees welcome!
Unsere Chance für mehr Menschlichkeit.
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