Ein Abend auf dem Sofa, Decke, der Gatte und Baldriantee in Reichweite. Im Fernsehen lief eine furchtbar spannende Netflix- Serie, britisch, wie ich es mag und doch kaum aushalte. Plötzlich markerschütternde Schreie, mein Herzschlag setzte kurz aus, während das Gehirn realisierte: das verzweifelte Rufen kam nicht aus dem Fernseher, sondern aus unserem Haus.
Der Gatte sprintete los, hechtete zur Tür und die Treppe hoch. Wenige Augenblicke später kehrte er zurück, auf dem Arm ein wild um sich schlagendes Kind im Panikmodus.
Wir saßen auf dem Sofa, unter der Decke, alle drei und hielten unser Kind fest, das immer wieder laut nach seiner Mama schrie, verzweifelt und verängstigt.
„Wo bist du, wo bist du, Mama, du bist mir doch so lieb?!“
Wir wiegten es, immer wieder flüsterte ich ins schlafwarme Ohr:
„Ich bin da, ich bin da, ich bin da. Und ich halte dich, ich gehe nicht weg, alles ist gut.“
Es dauerte eine lange Weile, dann beruhigte sich der wildpochende Herzschlag, der Atem ging wieder regelmäßig und tief, schwer lag das vielgeliebte Kind auf mir, ruhig und entspannt, die Gesichtszüge wieder friedlich und gelöst.
Mittlerweile kennen wir das Prozedere, das trotzdem nichts von seinem Schrecken verliert. Das Kind schläft. Die ganze Zeit, tief und fest. Und es wandelt im Schlaf, durch unser Haus und durch eine Schreckenswelt, in der seine Mama nicht erreichbar ist, eine Welt voller Angst und Panik. Während ich das Kind ganz fest halte und ihm gute Worte ins Ohr flüstere, sucht es mich zeitgleich in den verworrenen Gängen seiner Albträume.
Später lag ich in meinem eigenen Bett, das Nachtschreckgeplagte Kind fest an meiner Seite, diese Nacht sollte es nicht mehr allein überstehen müssen. Der Schreck lag noch immer auf meiner Seele und mit ihm die furchtbare Vorstellung, dass mein Kind auch nur eine Sekunde denken könnte, es sei nicht geliebt, geborgen, behütet, eine ganz schaurige Idee, selbst wenn es nur für eine Albtraumlänge so sein sollte. Lange lag ich so in der Dunkelheit, hörte auf die ruhigen Atemzüge von Gatten und Kind und sorgte mich.
Plötzlich stieg ein Gedanke in mir hoch und wurde für den Moment zur glasklaren Gewissheit.
Wie oft irre ich durch die Alltäglichkeiten meines Lebens, mit einem Herzen voller Angst, suchend, fragend, zweifelnd. Macht mein Tun irgendeinen Sinn? Wird alles gut gehen, bin ich verkehrt, habe ich das falsche gesagt oder getan? Bin ich eine Niete, als Mutter, als Ehefrau, als Mensch? War ich zu ungeduldig, warum schaffe ich nicht mehr, bin ich überflüssig, bleiben wir gesund und warum kann man manchmal unter vielen Menschen einsam sein? Und Gott, wo in all dem bist du?
Und während ich noch durch die verworrenen Gänge meiner Ängste irre,
bin ich längst gehalten, längst getröstet, längst bedingungslos geliebt, oft merke ich es nur nicht.
Die Stimme dringt nicht zu mir durch, weil meine Gedanken in einer eigenen Welt hilflos den Ausgang suchen. Gott ist immer schon da. Er ist da, auch wenn ich ihn gerade nicht spüren kann, wenn ich ihn suche und nicht finden kann. Er hält mich in seinen Armen und flüstert beständig:
„Ich bin da, ich bin da, ich bin da. Und ich halte dich, ich gehe nicht weg, alles ist gut!“
Manchmal ist uns das völlig klar. Wir spazieren durch die Tage unseres Lebens mit Gottvertrauen und Zuversicht. Zumeist dann, wenn alles glatt läuft, wenn wir die Dinge im Griff haben und drei bis fünf Probleme gleichzeitig gelöst bekommen.
Aber manchmal läuft es eben nicht so. Manchmal siegen die Zweifel über die Zuversicht, geht alles Vertrauen verloren und sinkt der Mut ins Bodenlose.
Dann ist er trotzdem da, immer. Er hält an dir fest, auch wenn du dich haltlos fühlst. Er ruft dich, auch wenn die Stimme gerade nicht zu dir durchdringen kann. Und er harrt mit dir aus, bis dein Herzschlag sich beruhigt und dein Atem seinen ureigenen Rhythmus wiederfindet, egal, wie lange es dauern mag.
In dieser Nacht, in meinem Bett, den Schreck noch in den Gliedern, fühlte ich mich plötzlich ungemein getröstet. Ich drehte mich zu meinem Kind, und hielt es fest in der Gewissheit, dass auch ich immer gehalten bin.
Am Morgen, bei blauem Himmel und eiskaltem Sonnenschein, weit weg von allen Schrecken der Nacht, erkundigte ich mich nach schlimmen Träumen und fiesen Ängsten.
„Welche Träume?“, fragte das Kind erstaunt. „Ich kann mich an nichts erinnern.“ Ja dann, um so besser.
Aber nur damit du es weißt, mein Kind, ich liebe dich. Immer.
Vorgärtnerin meint
Gut, wenn das Kind nichts davon mitbekommt! Es reicht wohl, dass die Mutter in der Erinnerung noch bebt.
Dennoch — was kann man da tun? Ist es unterbewusst? Die Tiefe der Psyche? Urängste?
Und wo kommt es her?
luisaseider meint
Oh wow, genau der richtige Text für mich heute… bin heute auch durch die Alltäglichkeit geirrt und habe mich in meinen Gedanken verirrt… Dankeschön!