„Oh nein, was ist, wenn meine 1 ½ -Jährige die gefährliche Granit-Treppe heruntergeflogen ist und sich den Kopf aufgeschlagen hat? Vielleicht steht schon der Krankenwagen vor der Tür? Oder die Großeltern sind mit ihr auf dem Weg ins Krankenhaus? Was ist, wenn…“ – die verrücktesten Gedanken schießen mir auf der Autofahrt zu den Schwiegereltern durch den Kopf. Dabei hat mir die fast-kinderfreie Zeit ganz gut getan: Der kurze Stadtbummel mit Kind Nr. 2 im Bauch nach dem Besuch beim Gynäkologen. Aber im Auto spielt mir meine Phantasie einen Streich. Jede Ampel ist rot und es dauert ausgerechnet heute außergewöhnlich lange, bis sie auf grün schaltet. Endlich angekommen, springe ich schnell aus dem Auto, klingele und sehe ………. mein Kind. Es spielt zufrieden! Erleichtert umarme ich meine Tochter, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und freue mich auf ihre Reaktion. Aber ………………… nichts. Oma ist ja da. Mein Kind ist vertieft ins Spiel mit Oma.
Luft. Wie Luft. Genauso fühle ich mich. Manchmal.
Das ist ein Ausschnitt aus einem Text, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe. Inzwischen sind schon etwas mehr als 2 Jahre vergangen und ich gestehe, meine „Ich-fühle-mich-wie-Luft“-Momente haben zugenommen.
Zum Beispiel dann, wenn ich meine Große bitte, die Knete aufzuräumen, mit der sie gespielt hat bevor sie sich dem Malen zuwandte. Oder wenn ich sie morgens wieder und wieder zur Eile mahne, damit wir rechtzeitig im Kindergarten ankommen, während sie in aller Seelenruhe noch ihr Puzzle macht. Meine Worte verhallen. Sie scheinen in das eine Ohr hineinzugehen und in das andere wieder hinaus. Vielleicht erreichen sie das Ohr auch gar nicht erst. Wie Luft. Als hätte ich nichts gesagt. Als wäre ich gar nicht da. Oder wenn ich früh morgens oder spät abends, wenn alle im Bett sind, die Wäsche zusammenlege, bügle, sortiere und in Schränke einräume, dann ist das selbstverständlich, als wäre ich irgendein zauberhaftes, luftähnliches Wesen, das dies ohne jegliche Anstrengung erledigt.
Aber wehe, ich bin zwei Minuten auf dem stillen Örtchen. Sofort wird nach mir gerufen und die Koordinaten meines Aufenthaltsortes bestimmt. Oder wehe, ich gönne mir mal zwei Stunden eine ausgiebige Wellnessbehandlung. „Mama, wo warst du? Wieso bist du einfach so von mir abgehauen?“ – Hmmm, ich werde also doch noch wahr genommen.
Und doch, der Vergleich mit der Luft ist unschlagbar. Bin ich da, werde ich kaum wahrgenommen, fehle ich, falle ich auf – wie Luft eben.
Und bei genauerem Hinsehen stelle ich fest, irgendwie war meine eigene Mutter auch so etwas wie Luft für mich. Ihre aufopfernde Anwesenheit war Standard und fiel erst in ihrer Abwesenheit auf.
Und bei noch näherem Hinsehen stelle ich fest: Die Luft, die ich einatme, und ohne die ich nicht eine Sekunde leben kann, ist der Atem Gottes. Er ist derjenige, der mich und uns alle zu jeder Zeit in seinen Händen hält. Ob es uns bewusst ist oder nicht. Ob wir es spüren oder nicht. Ob wir es glauben oder nicht.
Spätestens jetzt werde ich dankbar – seeehr dankbar: Für einen Gott, dessen Gegenwart und Fürsorge nicht davon abhängig ist, ob ich ihn in jedem Augenblick meines Lebens bewusst wahrnehme, dessen unbegrenzte Liebe nicht davon abhängt, ob ich immer in „Lobpreis-Laune“ bin oder mal „rum-zicke“, dessen Geduld für jeden Fehler und jedes Versagen reicht.
Ich werde dankbar, dass ich meinen Kindern durch mein alltägliches Tun diese wichtige Lektion über Gott beibringen kann. Ich werde dankbar dafür, dass meine Kinder sich so sicher und geborgen fühlen, dass es für sie selbstverständlich ist, dass das Essen auf dem Tisch steht, dass der Kleiderschrank mit sauberen Kleidern gefüllt ist, dass Mama nicht einfach wegrennt, wenn die eine schreit und der andere das Bad mit Malseife „putzt“… Ich werde dankbar dafür, dass ich für meine Kinder „Luft“ sein darf.
Und ich werde dankbar für die kleinen und großen Momente, in denen wir als Familie bewusst wahrnehmen, dass wir füreinander „Luft“ sind. Ich meine solche Augenblicke, in denen wir so froh sind, nicht ohne den anderen leben zu müssen. Das können besondere Qualitäts-Zeiten sein wie ein Sonntagsausflug, ein Schwimmbadbesuch oder ein Familienurlaub. Aber wichtiger als diese „selteneren“ Highlights sind für mich die alltäglichen Qualitäts-Momente, in denen wir miteinander lachen, kuscheln, albern, schmusen, Spaß haben. Ich liebe es! Das sind die Momente, die den Alltag herausholen aus der Gewöhnlichkeit und unsere Beziehungen zueinander wirklich bereichern.
Auch in meiner Beziehung zu Gott liebe ich intensive Qualitäts-Zeiten. Leider kommen sie im turbulenten Alltag oft zu kurz. Aber wie schaut es mit den Qualitäts-Momenten aus? Wie kann ich heute Qualitäts-Momente erleben, in denen ich mir der Luft, die mich umgibt – der Gegenwart Gottes – bewusst werde, sie genieße und mich an ihr freue – mitten im Alltag?
Vielleicht genau so wie mein fast 2-jähriger gerade eben: Er gibt mir nämlich einen Luft-Kuss!
Eleonore meint
Liebe Luisa, genau das ist es!
Herzliche Grüße, Eleonore
Andrea meint
Danke für den gerade für mich so passenden Text ! Einfach SEIN in seiner Gegenwart.
Liebe Grüße
Andrea