Es muss einfach mal gesagt werden: Unsere Kinder haben es nicht gut erwischt.
Grundlegende physische, womöglich psychische, aber ganz bestimmt materielle Bedürfnisse werden nicht gestillt. Mein Mann und ich scheinen in dieser Hinsicht völlig zu versagen. Wie sonst könnte es sein, dass die Kunden-, ähh Kinderzufriedenheit in unserem Haushalt so niedrig ausfällt? Umfragen führe ich selbstverständlich erst gar nicht durch, aber ich bekomme auch so eine Menge direktes, meistens eher unerfreuliches Feedback:
Mama, wieso hast Du mir Pistazien in meine Frühstücksdose gepackt? Ich mag keine Pistazien!
Oh Mann, warum hatte die Annie Pistazien dabei? Mir hast Du gar keine in den Kindergarten mitgegeben!
Mama, warum kommst Du immer als letztes zu mir zum Gute-Nacht-Sagen Wieso liest Du bei der Gute-Nacht-Geschichte nur ein Kapitel vor der Papa liest immer zwei Die Annie hat mich gebissen ich habe sie gar nicht gebissen nur aus Versehen Du hast dem Jonathan meinen Radiergummi ausgeliehen obwohl er mir gehört Oh Mann darf die Janina jetzt noch ein Eis das ist unfair ich hatte nur eins Immer muss ich den Tisch decken Dem Jonathan hast Du aber geholfen Ich hatte heute gar nicht genügend zum Essen in meiner Brotdose drin Heute mussten wir den Zettel für das Schulfest abgeben und Du hast ihn nicht ausgefüllt Warum hast Du mir eine lange Leggins rausgelegt das war richtig heiß heute und ich hab voll geschwitzt Ich möchte nicht mit dem Fahrrad fahren, es regnet Heute ist es mir zu warm zum Fahrradfahren Mama wann bekomme ich ein neues Fahrrad Die anderen dürfen aber jeden Tag Videospiele spielen Die letzten beiden Wochen habe ich gar kein Taschengeld bekommen Du hast uns gar nicht Bescheid gesagt dass wir schon gehen müssen Immer müssen wir als erstes gehen Du hast meine Zöpfe viel zu kurz geflochten ich möchte dass Du mir lange Zöpfe flechtest Ich mag Pfannkuchen aber ich mag sie doch nicht zum Mittagessen nur für zwischendurch Der Annie hast Du was viel tolleres…immer hat nur der Jonathan… wenn die Janina dann will ich aber auch…das ist total unfair… immer darf nur… wann kann ich………………………………………tbc.
Ich bin selbst überrascht, dass mir in kürzester Zeit so viele Beispiele einfallen.
Wahrscheinlich hatte unsere frühere Vermieterin recht. Sie war der Inbegriff der schwäbischen Hausfrau, war um die siebzig Jahre alt, meistens mit einer Kittelschürze bekleidet und immer am Schaffen, wie es sich halt gehört. Wenn sie mich mit meinem schreienden Erstgeborenen sah, wie ich ihn stundenlang auf dem Arm wiegte oder im Kinderwagen hin- und herschob, sagte sie immer mit der schönsten schwäbischen Missgunst, die man sich vorstellen kann: „Der isch verweehnt.“ Soll heißen: „Der ist verwöhnt.“
Jaja, wahrscheinlich sind sie alle verweehnt, meine Kinder, und deshalb ständig so unzufrieden. Auf diese Art und Weise lerne ich wenigstens, wie man am besten mit Kritik umgeht: Einfach die Zähne zu einem Lächeln fletschen und konsequent ignorieren. So habe ich das bei meiner Vermieterin auch immer gemacht.
Und meine Kinder?
Vielleicht werden sie sich irgendwann damit abfinden, dass sie derartig unprofessionelle Eltern erwischt haben.
Oder im Internet googeln, wie man günstig an bessere Eltern kommt.
Oder irgendwann feststellen, dass doch alles gar nicht sooo schlimm ist, was ihnen da zugemutet wird (das ist natürlich die unwahrscheinlichste Variante).
Natürlich könnte ich auch meinen Erziehungsstil ändern und darauf hinwirken, dass sie weniger verweehnt und eines Tages dankbarer sind („Danke, Mama, dass Du mir heute ein Frühstück mit in die Schule gegeben hast- das ist ja etwas ganz Besonderes!“).
Aber nicht auszudenken, was für eine Flut an Beschwerden das erstmal auslösen würde- nein, das ist nicht wirklich eine Option… Ich denke, ich werde also alles erstmal so belassen wie es ist. Wenn Janina dann auch Schreiben gelernt hat, werde ich dazu übergehen, nur noch schriftliche Beschwerden entgegen zu nehmen. Das wird das Problem sofort minimieren. Schreibfaul sind sie nämlich auch, meine Kinder.
Wie, das hat Euch jetzt nicht inspiriert? Naja, wie ich mit Kritik umgehe, wisst Ihr ja jetzt. Ihr dürft sie selbstverständlich trotzdem an mich richten, schriftlich, versteht sich. Aber Eure Kinder haben ja höchstwahrscheinlich nicht solche Nieten erwischt wie unsere und sind deshalb immer friedlich, höflich und zufrieden, nehme ich an.
Oh, tut mir leid, ich höre gerade, dass ich die falsche Löwenzahn-Folge auf youtube ausgewählt habe. Die haben die drei Zuckerhasen gestern schon gesehen. Das geht natürlich gar nicht…! Also, ich weiß nicht, was Ihr jetzt macht, aber ich drehe erstmal eine Runde- Kinder verweehnen. Tschühuß!!
Julia Sponsel meint
Oje, bei uns klingt das ähnlich – ich muss auch nochmal zur Elternschule . Als Mama kann man es aber auch (fast) nie recht machen bei dieser Vielzahl verschiedener Wünsche. Aber dann, ganz unerwartet, nach gefühlt endlosem Dauergenörgel kommt plötzlich:“Ach Mama, danke, dass du mir ein Eis gegeben hast. Du bist doch die beste Mama“.❤
Sandra Klimm meint
Das ist das Alter! Mittlerweile sind meine Kinder 20,18 und 12 Jahre alt. Der Älteste bedanke sich erst gestern noch für meine gute Erziehung und das ich mit ihm damals zum Logopäden ging als er klein war. Er sieht jetzt genügend Beispiele von jungen Leuten, die schlecht sprechen und wohl möglich keine Mama hatte ein Kleinkind Woche für Woche um 8 Uhr morgens im Wartezimmer einer logopädischen Praxis bespaßte, damit das größere Kleinkind seinen Knoten aus der Zunge bekam. Die Tochter, 18, bedankte sich, das ich immer da war, wenn sie erledigt aus der Schule kam („Mama es ist so schön wenn ich den Berg hoch komme und dich schon durchs Küchenfenster sehe) und der Jüngste hat derzeit seine „Mama, schön das es dich gibt!“-Phase. Also, je ätler sie werden, desto mehr zeigen sich die Früchte dieses „unzumutbaren“ Erziehungsstils, den wir Mütter täglich ausüben. In dem Sinne, alles Liebe und Gottes Segen, Sandra vom Sommerzimmer
Antschana meint
ach Barbara, vielen Dank!! Ich stell mir immer vor, wie mein Kind auf der Bühne steht und den Oskar/ Nobelpreis o.ä. entgegennimmt und zu Beginn seiner Rede erstmal seiner Mutter dankt, ohne die er nicht der wäre, der er jetzt ist und das alles nicht geschafft hätte. Und der er garnicht genug danken kann, dass sie immer für ihn da war, etc. Die Kamera zoomt ran und man sieht mich wunderschön und entspannt mit Tränen der Rührung in der ersten Reihe sitzen… ja, so wird das mal sein… ich bin mir fast sicher! 😉
Johanna meint
Antschana ich lach mich schlapp.Ab heute sitze ich bitte neben dir in der ersten Reihe und werde in der darauffolgenden Rede v meinem Kind in höchsten Tönen gelobt 😀
Ich liebe Kopfkino <3
Luisa Seider meint
Die Vorstellung mit der Preisverleihung habe ich auch immer , wenn ich nach JEDER Mahlzeit die Essensreste auf dem Tisch, unter dem Tisch und vom Kinderstuhl einsammle / wegwische, nach den selbstständigen Essversuchen des 2-Jährigen. Dann stelle ich mir auch immer vor, wie er in vielen Jahren als weltweit erfolgreicher Forscher seine Rede mit den Worten beginnt: „Alles hat damit angefangen, dass meine Mutter mich meine Umgebung hat uneingeschränkt erforschen lassen.“ (Hoffentlich hat er bis dahin Tischmanieren!)
7geisslein meint
Oh, wie wunderbar beschreibst du meine Lage….und was für eine schöne Ergänzung der Jobbeschreibung: hauptamtliche Kinderverwöhnerin
Barbara meint
Es freut mich, dass Ihr Euch zum Teil -hoffentlich schmunzelnd- wiederfindet, mir Mut macht und Euch mit mir darauf freut, dass eines Tages der Lohn unserer Mühen in voller Blüte zu sehen sein wird (mal sehen, wie und wo das dann passiert: bei der Oskar-Verleihung, vor dem Nobel-Komitee oder beim Italiener um die Ecke…grins).
Liebe Grüße an Euch alle und Gottes Kraft und Segen! Barbara
Johanna meint
Danke Babara, habe geinsend deinen Text gelesen.Meinen Kindern gehts auch manchmal ganz gaanz schlecht *grins* verweehnte dingers.ich liebe sie.
Christina S meint
oh ja Barbara, das hast du toll geschrieben! Samu (5) wollte heute morgen um 6 uhr schon ausziehen – hat sich beleidigt die Schuhe angezogen und ist im Garten verschwunden – weil ich im nicht auch noch die 2. Bettdecke gegeben haben (nachdem er mir die erste schon weggezogen hat!). Definitiv verweehnt, der Kleine. Hab ihm die Tage ein Vesperbrettle gekauft auf dem steht: „Lieber Gott, mach dass ich nicht immer gleich beleidigt bin.“ Mannomann, irgendwann werden die so dermassen dankbar sein dass wir das alles ertragen haben – spätestens wenn sie ihre eigenen verweehnten Kinder haben:-). Glg! Christina