Ich komme nach einem Vortrag an meinem Büchertisch mit einer Frau ins Gespräch. Sie fragt mich, in welche Gemeinde ich denn gehe. Ich wäre reich, würde ich für diese Frage jedes Mal zehn Euro bekommen! „Evangelische Landeskirche.“ Mein Gegenüber zuckt eine Millisekunde zusammen, setzt ein tapferes Lächeln gewürzt mit einer Prise Mitleid auf und meint: „Nun tja, das ist nett. Aber ich brauch den lebendigen Lobpreis. Fehlt dir der nicht?“
Ich fühle mich unwohl, weil ich ahne, dass meine Gesprächspartnerin weniger an meiner Art des Glaubens interessiert ist, sondern davon irritiert ist. Sie kommt ins Schwärmen über die megasupidupi-Lobpreisband ihrer Gemeinde.
Ich selbst habe einfach nicht die megasupidupi Geschichte mit der freikirchlichen Lobpreiskultur. Ernsthaft. Ich habs probiert. Mich bestens bemüht. Bin brav aufgestanden, wenn ich dazu aufgefordert wurde. Hab auch ab und zu in so manchem Mutanfall die Hände gehoben. Den Refrain bis zum Erbrechen wiederholt, bis ich die richtige emotionale Temperatur erreicht hatte. Aber ich kam nie in diesen spirituellen Flow wie alle anderen um mich herum. Ich war mir meiner selbst zu sehr bewusst. Fühlte mich unangenehm beobachtet. Ich mochte meine innige Gottesbeziehung in der Öffentlichkeit nicht zur Schau stellen. Es war mir einfach kurz: peinlich.
Lange Zeit dachte ich, ich sei falsch. Wenn ich mich nur mehr bemühte, würde ich irgendwann diese Mauer aus Unbehaglichkeit und Reizempfindlichkeit durchbrechen und dann der Superworshipper werden.
Und dann gingen wir aus der Freikirche raus, zurück in die Landeskirche. Wo ich aufatmete. Hier durfte ich zum Singen sitzenbleiben, was mir half, mich ganz auf den Text und die Melodie zu konzentrieren. Hier war die Liturgie vorgefertigt, wir sangen Psalmen und ich musste deren Inhalt nicht nach theologischer Korrektheit abscannen.
Der Frau am Büchertisch antwortete ich: „Nein, mir fehlt der Lobpreis nicht. Ich bin einfach nicht der klassische Lobpreistyp.“ Womit ich mir einen weiteren irritierten Blick einkassierte.
Aber seit einigen Wochen schwankt meine eigene Festlegung. Denn ich lerne: Wir fassen Lobpreis, wie wir ihn verstehen, viel zu eng. Wir reduzieren ihn auf ein paar wenige englische oder deutsche Strophen, auf körperliche Ausdrucksweisen, Bands mit Wannabe-Hipster-Allüren, Gitarre, Schlagzeug und Nebelmaschinen. Das ist alles supi. Wirklich. Für die, die drauf stehen.
Nur was ist mit denen, die damit wenig bis nichts anfangen können?
Haben sie eine weniger intensive Gottesbeziehung?
Ich habe mich auf die Suche gemacht. Für mich und all diejenigen, die sich beim Händeheben und Hallelujasingen gehemmt und unwohl fühlen.
Was ist denn Lobpreis überhaupt?
Lobpreis ist ein Wegschauen von uns selbst. Hin auf Gott.
Lobpreis ist, wenn wir von etwas so erfüllt sind, dass es in uns jubelt.
Lobpreis ist dann, wenn wir zu Gottes Händen und Füßen, Augen und Mündern und Ohren werden.
Kennst du das Gefühl, wenn es in dir ganz weit wird, dieser Ballon in deiner Brust?
Das ist der Heilige Geist, der einen kleinen Tanz mit dir hinlegen möchte. Mach dieses Gefühl nicht klein, schiebe es nicht beiseite. Dein Lobpreis ist dein inneres Lied. Es klingt in dir, angefacht durch tausend kleine und große Dinge. Es gibt auch beim Lobpreis keine One-Size-Fits-All.
Mein Lobpreis sind die ersten fünf Minuten an einem erwachenden Sommermorgen, wenn ich mit meiner Tasse Tee barfuß durch den Garten gehe, den Vögeln zuhöre und mich ein bisschen wie Eva im Paradies fühle (ich bin aber bekleidet, keine Angst…..).
Mein Lobpreis sind Worte, die ich schreibe und lese.
Mein Lobpreis ist das Bettenmachen. Jeden Morgen neu. Weil ich mich dann an den glatten Laken freue, in die ich ein paar Stunden später wieder schlüpfen darf.
Mein Lobpreis ist das Schwimmen im nahegelegenen See. Entweder am späten Abend oder am frühen Morgen, wenn die Haubentaucher neugierig neben mir herpaddeln.
Mein Lobpreis ist Zuhören, Trösten, Streicheln, Heilen.
Mein Lobpreis ist das Tanzen und Klavierspielen und laute Lachen mit meinen Kindern.
Mein Lobpreis ist sind gelungene Tortillas mit schwarzen Bohnen, Süßkartoffeln und Avocado.
Mein Lobpreis ist meine Liebe zur Kunst und Literatur und Call The Midwife.
Wir dürfen unseren Glauben weit machen.
Und damit auch unsere Ausdrucksweisen.
So wie es unterschiedliche Zugangswege zu Gott gibt, hat jeder von uns auch seine eigene Art, ihn zu verehren. Manche mögen das laut und sehr körperlich, andere im Stillen und Kontemplativen.
Wir sind die bunte Familie Gottes.
Kinder verehren ihre Eltern auf unterschiedlichste Weise, nicht wahr? Während die eine still im Zimmer sitzt und ihrem Papa ein Bild malt, backt der andere seiner Mutter einen Kuchen. Ein Kind führt den Eltern ein Musikstück vor. Einem anderen Kind genügt es, nur still neben seiner Mutter zu sitzen und ihren Geruch einzuatmen.
So ist es mit unserem Gott. Er braucht nicht unbedingt Nebelmaschinen und ausgetüftelte Lieder (obwohl er die sicher auch ganz knorke findet). Ihm reicht unsere Herzenshaltung, mit der wir leben und unsere Betten machen und uns an der Natur freuen und beim Kochen schief singen.
Antschana meint
Ich bin ja eine, die das Händeheben und Hallelujasingen liebt! Den Refrain endlos wiederholen und am liebsten noch tanzen… 🙂
Aber du hast so Recht mit deinen Worten. Darauf kommt es so gar nicht wirklich an.
Wir haben unterschiedliche Arten unser Herz auszudrücken und das ist vielfältig wundervoll!
Danke, dass du uns ermutigst, wir selber zu sein! Auch oder gerade im Lobpreis!
Wenn wir mal zusammen Lobpreis machen, so klassisch mit Liedern und so…, darfst du dann gern neben mir sitzen während ich die Hände hebe! Das fände ich wunderbar! <3
Irina meint
Oh, wie schön du das geschrieben hast! Und du hast völlig recht – auch wenn ich eher der andere Typ bin. Tief in die Musik eintauchen, mein Gott, meine Stimme und meine Geige. Der Vergleich mit den Kindern, die alle unterschiedlich lieben, rührt mich zutiefst. Ich bin dann das laute Kind.
luisaseider meint
Liebe Veronika,
vielen Dank für diesen „mutigen“ Artikel. Ich kann deine Ansicht total nachvollziehen, und das als jemand, der kein Problem mit Händeheben hat, und als jemand, der selber jahrelang Lobpreis geleitet hat. Mir haben sich schon damals bei dem Wort „Lobpreisprobe“ die Nackenhaare aufgestellt: Was genau tun wir da? Lobpreis proben??? Als Musiker ist mir durchaus bewusst, dass man proben muss, aber der Stellenwert, den das Ganze oft hat, erscheint mir fragwürdig. Und de facto haben wir damit auch nichts anderes geschaffen als eine „Liturgie“: zuerst eins oder mehrere fetzige Lieder, anschließend geht das Ganze ins Komplentative und nach persönlichem Geschmack zum Abschluss nochmal fetzig…. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mir heute im Rückblick manches (zum Glück nicht alles) recht oberflächlich vorkommt im modernen Lobpreis bzw. auch in dem Lobpreis, den ich damals leitete. Und eine der besten Lobpreiszeiten, die ich erlebt habe, war musikalisch gesehen ein Graus, aber sooo echt und so ehrlich! Ja, und manchmal ist der ehrlichste Lobpreis vor Gott ein enttäuschtes, verzweifeltes und nach Antworten suchendes Herz! Aber genau danach sehnt sich Gott, denn von vollkommener Musik ist er ohnehin Tag und Nacht, 7 Tage die Woche im Himmel umgeben. Da reicht all unsere Perfektion und Performance nicht heran.
Andrea meint
Oh ich danke dir ! Ich bin ja katholisch und bleibe es wohl auch, auch wenn ich so einiges an Kritik äußere. Aber ich darf ja nicht mal laut sagen, das ich katholisch bin und werde schon schräg angeschaut. Frage mich nur, was das über meine Herzenshaltung aussagt? Genau, gar nix. Ich bin da wie du. Ich mag diesen Lobpreis mit Händeheben und so auch nicht. Ist mir zu viel. Nicht meines. Aber das darf auch so sein. Habe ich auch lange nicht begriffen.
Liebe Grüße
Andrea – die Großfamilienmama
Lisa meint
Ganz vielen lieben Dank Veronika für den schönen Artikel. Mir geht es ähnlich wie dir, in manchen Kreisen bekommt man das Gefühl, dass man gar nicht wirklich dazugehört, wenn man in der „normalen“ Landeskirche beheimatet ist. Als ob die Kirche, die man besucht, etwas über den eigenen Glauben aussagt. Musikalisch finde ich allerdings, dass sich manche Gottesdienste schon auch an etwas modernere Lieder trauen könnten. Allein um die Jugend nicht zu vergraulen (die, wenn sie älter wird, aber vielleicht wieder die Lieder aus ihrer Kindheit gut findet, aber bis dahin sind es ja meistens noch ein paar Jahre :D). Aber man wird es nie jedem recht machen können, und GOTT SEI DANK müssen wir das ja auch gar nicht! 🙂 Für IHN sind wir genau richtig, so wie wir sind.
Deswegen: Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben.
Denn: Wären alle Menschen gleich, würde im Prinzip einer genügen
Liebe Grüße