Ich hätte neulich nicht gedacht, dass ich mich – als wäre ich auf einer Zeitreise – plötzlich ein paar Jahrzehnte zurück in der Vergangenheit wiederfinden würde. Zugegeben, körperlich hielt ich mich weiterhin im Jahr 2015 auf, seelisch jedoch erlebte ich das Gleiche wie damals: Ich fühlte mich unendlich gering und unfähig. Wieso? Ich hatte eine Person aus der einstigen Zeit getroffen, die bloß zwei Sätze sagte. Wahrscheinlich waren diese sogar spaßig gemeint – aber mich trafen sie beide, wie Pfeile, die ins Schwarze treffen. Und sie katapultierten mich retour in jene Lebensjahre.
Fassungslos stand ich vor meiner eigenen Reaktion. Wie war das möglich? Um mich selbst zurück ins Lot zu bekommen, startete ich einen Spaziergang und klagte Gott meinen Zustand. Anschließend fragte ich ihn gerade heraus: »Was soll ich machen, um aus diesem niederschmetternden Gefühl der Bedeutungslosigkeit wieder herauszufinden? Um aus dem Treibsand der Geringschätzung gerettet zu werden?«
Da kam mir ein für diese Situation seltsamer Vers in den Sinn: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.«*
Hä? Wie soll mir das in meinem inneren Tumult helfen?
Aber wenn das Gottes Antwort war, dann musste ich das ja wohl befolgen. Also übergab ich die Angelegenheit unwiederbringlich Gott und verzichtete auf jeglichen Rückholschein … Ich begnügte mich damit, dass er mich gnädig anschaut. Es stimmte ja: Ich war und bin schwach.
Kaum zwei Stunden später traf ich einen Bekannten. Dieser bat mich, eine außergewöhnliche, wertvolle Aufgabe zu übernehmen. Während ich zusagte, kapierte ich: Hier adelt mich Gott, indem er mir das zutraut.
»Lass dir an meiner Gnade genügen« – ich war wieder in der Gegenwart angekommen. Mein Gefühlschaos endete augenblicklich. Ich wusste mich von Gott selbst unendlich wertgeschätzt.
»Du bist ein Gott, der mich sieht!«**, sagte Hagar, die als Leihmutter missbrauchte Frau. Seit Urzeiten blickt Gott jeden Menschen ganz persönlich an. Und seit Jesu Tod am Kreuz schaut er uns auf jeden Fall gnädig und voller Erbarmen an. Ihn interessieren unsere emotionalen »Ausrutscher« ebenso wie unsere moralischen, um uns wieder herzustellen. Er freut sich, wenn er uns Gutes tun kann***. Und wo es für uns schwierig wird, steht er uns besonders nah zur Seite, selbst wenn wir es erst einmal gar nicht wahrnehmen.
________________
* 2. Kor.12,9
** 1. Mose 16,13.
*** Jer. 32,41
Tanja meint
Danke, für deinen Beitrag.
Ich hatte letzte Woche an einer Konferenz den Bibelvers “ Du bist ein Gott, der mich sieht bekommen.“ Habe ihn dann so mitgenommen. Mit deinem Beitrag gewinnt der Vers allerdings mehr Bedeutung für mich.
Gerlinde meint
Super, liebe Eleonore! Genauso ist Gott!
Im Übrigen finde ich dich außerordentlich fähig und begabt für so viele Bereiche – und ich kenne ja gar nicht alle.