Inspiriert von dem Artikel von Renate Schnarr „Es ist Oktober…“ folgt hier: Es ist November…
Die Bäume sind kahl, der Himmel verhangen, Kälte und Nebel oder Regen begrüßen uns, wenn wir aus dem Haus gehen. Die Natur scheint abzusterben, bis sie im Frühjahr zu neuem Leben erwacht. Kein Wunder, dass im christlichen Festkreis Feiertage wie Allerheiligen und der Ewigkeitssonntag in diesen Monat fallen. Menschen gedenken der Toten, der Vergänglichkeit des Lebens und im besten Falle der Ewigkeit. Ich greife diese Themen heute auf, auch wenn sie nicht gerade „leichte Kost“ sind.
Vor wenigen Wochen bekam ich über einen Freund mit, wie ein junges Ehepaar aus seinem Bekanntenkreis sein erstes Kind in der 24. Schwangerschaftswoche loslassen musste. Das Kind wurde per Kaiserschnitt geholt, und die Ärzte kämpften um das Leben des kleinen Mädchens, aber eine Woche später war der Kampf verloren. Ein schwerer Schlag für das junge Ehepaar, das wir persönlich zwar nicht kennen, aber dessen Not wir über unseren Freund teilten.
In derselben Woche führte meine Mutter ein Telefonat mit einer entfernten Verwandten. Sie ist 84 Jahre alt und hat vor bald einem Jahr ihren 89-jährigen Mann loslassen müssen, dem sie auch jetzt noch sehr hinterher trauert.
Zwei ganz unterschiedliche Menschen – ein Mädchen, das noch nicht mal die Chance bekam zu leben und ein Mann, der sein Leben bis ins hohe Alter weitgehend gesund gelebt hat, und dessen Abscheiden nach etwa einjähriger Bettlägerigkeit abzusehen war.
Vor meiner Elternzeit, konfrontierte mich das Thema „Tod und Trauer“ von Berufswegen jedes Jahr neu. Ich bin Realschullehrerin für Musik und evangelische Religion und in der 9. Jahrgangsstufe stand es auf dem Plan. Die größten Probleme hatten meine Schüler mit dem Tod von Kindern. Und ich gestehe, dass auch ich lange um eine halbwegs plausible Antwort für mich selber gerungen habe. In dieser Auseinandersetzung bekam ich sowohl auf den Tod von Kindern als auch auf den von alten Menschen einen weiteren Blick.
Ist der Tod des alten Mannes nicht vielleicht sogar der größere Verlust? Für den Rest der Welt sicher nicht, aber für seine 84-jährige Frau? Immerhin sind die beiden ein Leben lang Seite an Seite durch Höhen und Tiefen gegangen, sind sich über die Zeit zur wichtigsten und vertrautesten Person geworden, stützten sich im Alter gegenseitig auf eine unersetzbare Weise und waren sich der Liebe des anderen sicher trotz unattraktiver Falten und körperlicher Gebrechlichkeit. Diesen Halt zu verlieren, wenn man schon selber zunehmend schwächer wird, erscheint mir wirklich grausam, wenn auch vorhersehbar.
Auf der anderen Seite die jungen Eltern, die eine Achterbahn der Gefühle hinter sich haben: die Freude über das neu entstandene Leben, die Vorbereitung auf ein Leben zu dritt und dann der schlimme, unerwartete Verlust, leider auch schon zum zweiten Mal. Vermutlich werden sie den Schmerz nie ganz hinter sich lassen können, aber er wird mit der Zeit verblassen, und hoffentlich werden sie wieder genug Mut für weitere Kinder finden.
Und das kleine Mädchen? Was hat es denn verpasst? Das Leid und den Kummer dieser Welt! Vielleicht ist das jetzt zu einseitig, denn das Leben hat Gott sei Dank mehr zu bieten als Kummer und Leid.
Aber genau dieses MEHR, das erlebt die Kleine jeden einzelnen Moment, und zwar in Gottes Gegenwart.
Sie wird niemals wissen, wie sich Kopfschmerzen, ein Wespenstich oder ein gebrochenes Bein anfühlen. Sie wird nie erfahren, wie weh es tut, wenn man von der besten Freundin im Stich gelassen wird, Liebeskummer hat oder einen geliebten Menschen verliert, weil sie von Anfang an in der perfekten Welt Gottes leben darf, für die der Mensch eigentlich geschaffen ist! Ist es nicht – so gesehen – eine große Gnade für dieses kleine Mädchen, dass es von Anfang an ein vollkommenes Leben leben darf ohne jeglichen Schmerz?
Ich schreibe dies als jemand, der sich theoretisch damit auseinandergesetzt hat. Ich selber habe noch kein Kind verloren, aber ich habe mich mit der einen oder anderen betroffenen Frau unterhalten, weil ich wissen wollte, ob diese Himmelsperspektive trägt. Eine sehr gute Freundin bestätigte mir dies, und zwar unmittelbar nach dem Verlust ihres Babys, das einen Tag vor der Geburt im Mutterleib starb.
Eine andere Frau, die vor über 20 Jahren bei einem Autounfall ihren Mann und drei von vier Kindern verloren hat, darunter ein 1-monatiges Baby, sagte zu mir:
„Jesus kann meinen Kindern soviel mehr geben, als ich es jemals könnte!“
Es war ein harter und langer Weg bis sie zu dieser Einsicht kam, aber letztlich gab ihr genau diese Himmelssicht den Mut, eine neue Familie zu gründen mit drei weiteren Söhnen (zusätzlich zu dem Sohn, der den Unfall schwerbehindert überlebte).
Ob jung oder alt, für diejenigen, die bei Jesus sind, macht es keinen Unterschied. Aufseiten der Hinterbliebenen bleiben Schmerz und das eine oder andere Fragezeichen. Denn der Tod eines geliebten Menschen ist das Allerschlimmste, was uns hier auf der Erde treffen kann, und doch hat der Tod nicht das letzte Wort.
„Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ (1. Korinther 15,55)
Ich bete für die Trauernden, dass in allem Schmerz, allen Tränen und in den dunkelsten Stunden das Licht der Hoffnung auf ein Wiedersehen bei Gott heller scheint und Trost spendet. Und vielleicht betest du mit, auch wenn du diese Menschen nicht persönlich kennst?
Und für uns andere, die gerade nicht so ein schweres Leid zu tragen haben, möchte ich mit dem Psalmisten gemeinsam sagen:
„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12)
Vielleicht ist gerade der November ein guter Monat, um eine Rückschau auf das Jahr zu halten, und mit Blick auf die Ewigkeit Bitterkeit, Wut, Hass, Unzufriedenheit, Ungeduld (oder was auch immer jede von uns so beschäftigt) loszulassen, um spätestens im Frühjahr Beziehungen, Begabungen oder Talente neu zu beleben und den Früchten des Geistes (siehe Galater 5, 22-23) viel Raum zur Entfaltung zu geben.
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