WAS IST GEDULD?
Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Konflikte und Spannungen jeglicher Art waren für mich
schon immer sehr schwer auszuhalten.
Geduld und ich — wir haben da so unsere Geschichte miteinander.
Auf den ersten Blick würde man vielleicht denken, Geduld zu haben bedeutet, einfach gut
warten zu können.
Das klingt so einfach — als wäre es etwas, das man einfach noch ein bisschen üben muss, sollte
es einem nicht liegen.
Und doch kann es uns manchmal trotz etlicher Anstrengungen unendlich schwer fallen. Wisst ihr
warum?
Geduld zu haben ist weitaus mehr als nur auf das Nächste zu warten. Es ist ein Aushalten von Spannung. Es ist ein Vertrauen und ein Loslassen.
MUSS ICH GEDULD HABEN?
Früher dachte ich, Gott will, dass ich geduldig bin, damit es für ihn leichter ist, mich
auszuhalten. An einem geduldigen Menschen findet er mehr Gefallen, glaubte ich. Die Bibel sagt
schließlich, wir sollten so sein, oder? Also strengte ich mich an, ihm „besser“ zu vertrauen und
geduldig zu sein, was mir zwar äußerlich gelang, aber innerlich kämpfte ich weiterhin mit einer
tiefen Unruhe. Ich versuchte, sie bloß so tief in mir zu vergraben, dass niemand davon erfährt —
nicht mal Gott. Denn ich wollte doch, dass er mich mag.
Inzwischen bin ich überzeugt, dass Gott sich nie ein braves, nickendes, auf ihn wartendes
Mädchen gewünscht hatte, das dabei das eigene Herz unterdrückt. Es war nie in seinem Sinne,
dass sein kostbares Kind seinen sanften Anweisungen einfach nur blind folgt. Doch tat ich das
alles in der Hoffnung, ihm zu gefallen und seiner Liebe würdig zu sein.
Der Spagat zwischen dem, wer ich war, und dem, wie ich versuchte zu sein, erzeugte eine kaum
erträgliche Grundspannung in mir.
Erst viel später realisierte ich, dass Gottes Freude an uns nicht mit dem Zustand unseres Herzens zusammenhängt, sondern mit seinem Herzen, aus dessen Tiefen er uns bedingungslos liebt.
WAS MACHT UNGEDULD MIT UNS?
Vielleicht habt ihr es auch schon einmal gemerkt, dass man, wenn man ungeduldig wird,
innerlich rastlos wird. Ganz schnell sind die Gedanken nur noch in die Zukunft gerichtet. Man
ertappt sich öfters dabei, das Handy in der Hand zu haben und nicht mehr zu wissen, was man
eigentlich damit machen wollte. Man knüpft Bedingungen an seinen Frieden oder sein Glück:
„Wenn es irgendwann so ist, dann wird endlich alles gut sein.“
Was wir aber eigentlich damit sagen, ist: „Wenn ich alles unter Kontrolle habe, dann kann ich
innerlich loslassen.!
Das Schlimmste an diesem Zustand ist, dass er einem die Möglichkeit raubt, präsent zu sein. Für
mich ist das ist eines der größten Geschenke, das ich in den letzten dreieinhalb Jahre meines
Mamaseins entdecken durfte.
Wir verpassen so viele Schätze, die vor uns liegen, wenn uns ein rasantes inneres Tempo von einer Sache zur nächsten treibt. Es gibt in jedem Moment etwas auszukosten — selbst in der größten Spannung.
In vollen Zügen zu genießen ist aber nicht möglich, wenn einem tausend andere Gedanken
gleichzeitig durch den Kopf gehen oder wenn man innerlich ganz woanders ist. Meiner Meinung
nach ist Genuss eine Form der tiefen Dankbarkeit, was ich wiederum als eine Form der schönsten
Anbetung empfinde.
Wenn ich mich zum Beispiel von meinen Kindern durch die Stadt leiten lasse, ganz in ihrem
Tempo, und die Welt durch ihre Augen wahrnehme. Oder wenn ich am Fluss sitze und meine
Füße vom frischen Wasser kühlen lasse, während ich aufmerksam beobachte, wie mein Sohn
Steine wirft und meine Tochter den Dreck unter ihren Fingernägeln entdeckt. Wenn ich nicht das
Gefühl habe, irgendwo anders sein zu müssen — nicht einmal in meinen Gedanken — dann kehrt
ein tiefer Friede in mein Herz ein.
Ich glaube, Gott möchte viele solcher Momente mit uns erleben. Inzwischen bin ich überzeugt,
dass er sich nur deshalb wünscht, dass wir Geduld haben, weil er unsere Herzen im Fokus hat. Er
wünscht uns, dass die Tiefe unseres Herzens zur Ruhe kommt — direkt im Hier und Jetzt, egal
welche Umstände um uns herum toben.
Präsent zu sein ist die größte Waffe, die ich gegen Ungeduld besitze.
UNSERE REAKTION
Irgendwann habe ich verstanden, dass es in diesem Leben immer Spannungen geben wird. Als ich
mein Warten darauf aufgab, dass sich eines Tages alles löst und ich nur noch in meiner
langersehnten Harmonie leben darf, war ich plötzlich dazu fähig, den Zustand meines Herzens
genau anzuschauen.
Ich entdeckte so viel, das gegen sich selbst ankämpfte. Doch in den letzten Jahren durfte ich
erleben, wie es sich anfühlt, die eigene Spannung und all das, was ich früher loswerden wollte,
zu umarmen.
Ich wollte mir eigentlich nie Erlaubnis dafür geben, ungeduldig zu sein — doch einfach
anzunehmen, dass dies manchmal der Fall war, gab mir die Freiheit, die ich brauchte, um mich
damit auseinander zu setzen. Anstatt mich dagegen zu wehren und mein Herz dabei zu
zerreißen, stellte und näherte ich mich dem, was in mir Unruhe auslöste. Ich habe mich
entschlossen, bedingungslose Liebe anzunehmen — auch von mir selbst.
Heute sind wir alle gezwungenermaßen mit der Entscheidung konfrontiert, welche Haltung wir in
dieser spannungsreichen Zeit einnehmen. Vielleicht haben manche die Hoffnung schon
aufgegeben; vielleicht haben andere ihr Herz verschlossen, nach dem Motto „Augen zu und
durch.“
Ich wünsche uns, dass wir unsere Augen offen halten. Dass wir das Gold im Dreck ausgraben. Dass wir unzählige Momente präsent genießen, trotz der großen Ungewissheit.
Mögen unsere Herzen die Weite empfangen, die wir brauchen, um Spannung auszuhalten.
Möge uns Gott so begegnen, dass wir nichts tun können als allein ihm zu vertrauen.
Und möge er unsere Herzen berühren, dass wir die Kontrolle gerne loslassen und in seine Hände geben.
Wholeheartedly,
Alyssa
von wholehearted-home.com
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