Ich weiß nicht mehr genau, wie es passierte und warum es passierte.
Jedenfalls verlor eine der Barbies meiner Tochter ein Bein.
War es rauer Umgang beim Spielen? War es die Folge eines Geschwisterstreits? Ich weiß es wirklich nicht mehr, denn es ist schon eine ganze Weile her.
Man konnte diesen Schaden nicht mehr reparieren und so blieb diese Barbie einbeinig.
Irgendwann sortierte ich Spielzeug aus und wollte im Zuge dessen diese kaputte Barbie entsorgen.
Meine damals 5-Jährige war entsetzt! In Ober-Lehrer-Manier (Woher hat sie das bloß?) belehrte sie mich:
Warum, Mama, hä, warum willst du diese Barbie denn wegschmeißen? Nur weil sie nur noch ein Bein hat? Das ist doch kein Grund! Ich finde das gemein von dir! Denkst du etwa, sie hat kein Recht bei den anderen Barbies zu bleiben, weil ihr Bein kaputt ist?
Sie ist doch trotzdem genauso wertvoll wie die anderen!
Schachmatt! Was sollte ich hierzu sagen? Die Barbie durfte natürlich bleiben!
Ist das im echten Leben nicht genauso?
Man kommt in einen neuen Kreis von Menschen. Zuerst geht man auf die Schönen, auf die Lustigen, auf die modern Gekleideten zu. Was ist mit denen, die eher schüchtern sind, nicht den angesagten Style tragen, nicht die lustigsten Sprüche klopfen?
Die einbeinige Barbie hat meinen Blick dafür etwas geschärft. Leider ertappe auch ich mich dabei, dass ich Menschen viel zu schnell nach ihrem Äußeren in Schubladen schiebe.
Da ist diese Frau bei uns im Ort. Sie kommt aus einem anderen Land, die deutsche Sprache fällt ihr schwer. Sie hat ein Augenleiden (vermutlich hat sie ein Glasauge), wodurch es oft so aussieht, als würde sie schielen. Ihre Haare sind oft etwas fettig und manchmal riecht sie nach Bratfett, vermutlich Essgewohnheiten ihrer Heimat. Ich sehe sie fast täglich im Kindergarten, wenn wir beide unsere Kinder dort abliefern. Bei Kindergartenfesten steht sie oft alleine da.
Aufgrund ihrer Sprachbarriere, vielleicht auch aufgrund ihrer äußeren Mängel gehört sie nicht zu den Coolen, zu den Angesagten.
Leider habe auch ich zu lange gebraucht, um diese Frau endlich einmal zum Frühstück einzuladen. Sie kam der Einladung nur allzu gerne nach.
Sobald sie durch die Haustür kam, stieg mir eine Parfümwolke in die Nase, die mich gleich zu folgendem Urteil kommen ließ: Das Parfüm ist billig und sie hat definitiv zu viel davon aufgetragen. Hoffentlich bekomme ich keine Kopfschmerzen (ich reagiere sehr empfindlich auf zu starke Parfümdüfte).
Die junge Mama überhäufte mich mit Geschenken und brachte für jedes meiner Kinder ein Geschenk mit. Das waren keine Gummibärchen, sondern sie hat extra für jedes Kind etwas gekauft, was sicher nicht ganz günstig für sie war – ein Puzzle, ein Spielzeug und Bücher.
Die zu starke Parfümwolke sowie die Geschenke zeigten mir, wie sehr sie sich über die Einladung gefreut hatte.
Ich lerne diese Frau näher kennen. Sie ist eine kluge Frau. In ihrem Land hat sie studiert. Hier ist sie froh, wenn sie niedrige Jobs ausführen kann. Ich merke, dass ihr Selbstwert im Keller ist und es tut mir in der Seele weh. Sie hat viel Gesprächsbedarf, auch wenn das Gespräch aufgrund der Sprachbarriere einige Mühe kostet. Ich spüre ihre Einsamkeit.
Und irgendwie muss ich an die einbeinige Barbie denken….
Sollte meine Tochter sie eines Tages aussortieren, werde ich sie wohl „adoptieren“ und ihr einen Ehrenplatz zuweisen. Sie soll mich daran erinnern, dass ich mir für meine Tochter wünsche, dass sie die einbeinigen, einäugigen, verwundeten und am Leben gescheiterten „Barbies“ dieser Welt sieht. Und ja, ich möchte ihr in dieser Hinsicht Vorbild sein.
Vorgärtnerin meint
das ist SO! eine schöne Geschichte, liebe Luisa!!
Ich will auch immer mehr mit Jesus‘ Augen gucken und mich nicht von meinen eigenen Maßstäben leiten/verleiten lassen.
luisaseider meint
Dankeschön! Die Challenge ist, das im Leben umzusetzen. Schritt für Schritt den Blick schärfen und das Herz öffnen lassen von Jesus.
Vorgärtnerin meint
Ja, jeden Tag neu