So, die Sommerpause ist vorbei, und vermutlich hatten manche von euch in den letzten Wochen Hochzeitstag. Unserer war Ende Juli. Deshalb greife ich auf einen Text zurück, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe:
Auf dem Gang zum Traualtar
„Was wäre, wenn ich mich jetzt umdrehe und aus der Kirche laufe?“, ging es mir durch den Kopf, während ich im Brautkleid zu feierlicher Musik am Arm meines Vaters zum Altar schritt. (Wahrscheinlich gibt es nicht viele Bräute, die so etwas denken…, oder doch???).
„Wie ist das mit den „guten“ und den „schlechten“ Tagen? Wie wird es mir in einem Jahr gehen? In fünf, zehn, fünfzehn Jahren? Werde ich es bereuen, den Gang zum Altar gegangen zu sein? Was wäre, wenn ich jetzt einfach umkehre und aus der Kirche laufe? Die Reaktion auf den Gesichtern der Leute wäre ja schon interessant! Aber wahrscheinlich funktioniert das nur im Film. Im echten Leben würde wohl die ganze Festgemeinde hinter mir herlaufen, so dass ich mit meinem „sperrigen“ Kleid nicht weit käme. Und dann gäbe es eine unschöne Szene auf dem Kirchvorplatz mit in jedem Fall unangenehmem Ausgang. Außerdem: Was soll dann mit dem ganzen vorbereiteten Essen passieren? Und was wäre, wenn ich zwei Wochen später doch wieder bereit wäre zu heiraten?“
Kaum zu glauben, wie lang so ein Gang zum Altar ist, dass man Zeit für derartige gedankliche Spinnereien hat. Ob mein Bräutigam, der vorne am Altar auf mich wartete, wohl auch solche Gedanken hatte?
Ich bin den Gang zu Ende gegangen. Mit allen Konsequenzen. Das war vor 15 Jahren! Habe ich in all dieser Zeit nochmal gedacht: „Was wäre, wenn…?“
Nein, natürlich nicht: Ich habe den besten Ehemann von allen, er hat eine vollkommene Ehefrau, wir haben noch nie Fehler gemacht, sind immer liebevoll und verständnisvoll miteinander umgegangen, jede Stresssituation haben wir mit Bravour gemeistert… 😉 Wenn das so wäre, dann hätte ich mir alle Bedenken ersparen können.
Ich muss gestehen, es gab Momente, Situationen, Zeiten, in denen ich dachte: „Was wäre, wenn ich damals abgehauen wäre? Wie würde mein Leben jetzt aussehen? Wäre ich glücklicher? Vielleicht mit einem anderen verheiratet? Vielleicht ein sorgenfreier Single? Bestimmt wäre ich in DIESEM Moment glücklicher als ich es jetzt bin!“ Vielleicht.
Ich habe keine gravierenden Situationen vor Augen wie Ehebruch oder häusliche Gewalt. Darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben. Ich denke eher an Momente, in denen ich mir wünsche, dass mein Mann genauso empfindet, reagiert oder die gleichen Bedürfnisse hat wie ich. Charaktereigenschaften, die mir plötzlich als Fehler erscheinen. Alltägliche Augenblicke, in denen aus Mücken Elefanten werden. Aber auch „schlechte Tage“ wie die lange Wartezeit auf unser erstes Kind, an der aus medizinischer Sicht mein Mann „schuld“ war. Was wäre, wenn ich damals weggelaufen wäre, vielleicht einen anderen geheiratet hätte?
Wie froh bin ich, in solchen gefühlsgesteuerten Momenten das unbestechliche, unumstößliche Wort Gottes als Maßstab zu haben. Manchmal saßen mein Mann und ich nach einer Auseinandersetzung zusammen, noch leicht angesäuert, und er sagte: „Wir beide wissen: Weglaufen ist keine Option. Gott lässt uns diese Hintertür nicht offen. Wir müssen eine Lösung finden.“
Und es gibt Lösungen. Erst recht bei unserem Gott – er ist der Gott der unbegrenzten Lösungen!
Wir dürfen ihn fragen! Ich habe mal für meinen Mann ein Lied geschrieben, in dem es heißt: “Wo ich zu schwach bin, da bist du stark. Wo du mal zweifelst, geb’ ich dir neue Kraft. Doch wo wir beide versagen, wird Gott uns auf seinen Flügeln tragen.“ Und er tut es. Sein Wort trägt!
Einer unserer Trauverse lautet: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und in allen Stücken zu dem hinwachsen, der das Haupt ist, Christus“ (Epheser 4,15).
Wir erleben, je mehr jeder von uns zu Christus hinwächst, je mehr wir uns dem Prozess stellen, dass Jesus selbst – der Vollkommene – in uns Gestalt gewinnt, um so vollkommener wird unsere Ehe. Das ist sein Plan für uns als Ehepaar. Er möchte, dass wir vollkommen und heilig werden wie er vollkommen und heilig ist (1. Petrus 1, 16), auch wenn dies hier auf der Erde natürlich immer nur Stückwerk bleiben wird.
Was wäre, wenn ich damals weggelaufen wäre? Ich hätte das großartige Geschenk einer unperfekten Ehe unterwegs mit einem perfekten Gott verpasst – bis dass der Tod uns scheidet!
P.S. Übrigens, mein Bräutigam war nach eigener Aussage überwältigt von seiner Braut und dachte nicht im Geringsten ans Weglaufen!
(Dieser Text erschien erstmals in „Lydia“ Ausgabe 2/2014)
P.P.S. Bin ich wirklich die einzige, die so was gedacht hat??? Wie schaut’s denn mit euch aus?? Traut euch, gebt’s zu 😉
Antschana meint
Ob ich genau bei meiner Hochzeit sowas gedacht hab, weiß ich nicht mehr. 😉 Aber ich kenn solche Gedanken auch, „was wäre, wenn man jetzt einfach was total anderes macht, als erwartet wird“ Lustig, ich dachte nicht, dass andere auch manchmal sowas denken. Ha, ha…
Allerdings bin ich in meiner Ehe tatsächlich weggelaufen. Und ich kann ehrlich sagen, dass ich ohne Jesus nicht zurückgekommen wäre.
Dass wir heute eine (meistens ;-)) glückliche Ehe haben und eine Familie mit sechs tollen Kindern sind, ist ein wirkliches Wunder, das ohne Jesus nicht möglich gewesen wäre!!
Andrea meint
Schöner Text. Bei meiner Hochzeit habe ich sowas nicht gedacht, aber diese Zeiten in unserer Ehe kenne ich auch . Immer mal wieder und auch ich kann sagen : ER trägt uns.
Alles Liebe
Andrea
luisaseider meint
Gott sei Dank! Ist ja schon ein Stück Weg, den man gemeinsam als „unperfekte“ Menschen geht… Und gleichzeitig auch sehr schön …
Ingrid Jacoub-Hege meint
Dein Text hat mich berührt, liebe Luisa. Möge Gott Euch als Familie weiterhin reich segnen! Ich hab Dich lieb und vermisse Dich ! Deine Ingrid
Luisa Seider meint
Vielen Dank, liebe Ingrid!